Die Wut des älteren Sohnes ist gut zu verstehen. Doch die Freude des Vaters auch. Der jüngere Sohn ist wieder da!

 Du kennst mich ja schon, ich bin Aram der Töpfer. Gestern war ich wieder mit meinem Esel und den Töpferwaren in einem Dorf. Da habe ich wieder Jesus getroffen. Und es war wie immer. Jesus geht über den Marktplatz und wir Händler können unsere Waren zusammenräumen, denn alle wollen lieber als Einkaufen, hören, was Jesus erzählt. Also habe ich es, wie schon so oft gemacht. Ich habe meine Sachen eingepackt und Esel und Töpferwaren in der Herberge untergestellt. Dann bin ich auch zu den Menschen gegangen, die Jesus zugehört haben. Ich platzte, sozusagen, mitten in eine Geschichte, die wohl schon eine Weile ging. Was ich verstanden habe, war, dass es um einen Vater ging, der wohl zwei Söhne hatte.

Der ältere der Söhne war noch auf dem Feld und als er nachhause kam, hörte er Musik und Tanz und wunderte sich. Ein Fest bei ihm zu Hause? Wie kam das denn? Also fragte er einen der Diener im Haus: „Was ist denn heute bei uns los?“

„Ja weißt du es denn noch nicht, dein Bruder ist wieder zurückgekommen?“, erklärte der Diener. Und er erzählte weiter: „Dein Vater hat das gemästete Kalb schlachten lassen, weil dein Bruder wieder gesund zurück ist!“

Da wurde der ältere Bruder wütend. „Da gehe ich nicht rein! Ich habe nichts zu feiern!“, erklärte er dem Diener und blieb trotzig draußen stehen.

Der Diener ging ins Haus und erzählte dem Vater vom älteren Sohn. Da kam der Vater vor die Tür zu seinem Sohn. Er redete ihm gut zu: „Komm, feiere doch mit!“

Doch der Sohn fuhr ihn an: „So viele Jahre habe ich für dich gearbeitet! So viele Jahre! Habe ich da mal was nicht gemacht, was gemacht werden musste? Nie! Und, nie hast du mir mal ein Tier geschenkt und hast gesagt: ‚Komm, feiere mal mit deinen Freunden. Nie!‘ Aber mein kleiner Bruder, der sich das Erbe hat auszahlen lassen, der wer weiß, was mit dem Geld gemacht hat, der bekommt, wenn er bettelarm wieder zu Hause ankommt, ein Fest mit einem gemästeten Kalb!“

Der Vater legte seinem aufgebrachten älteren Sohn die Hand auf die Schulter: „Mein lieber Sohn, du bist immer bei mir gewesen, und alles, was mir gehört, gehört auch dir. Aber komm, spring über deinen Schatten, sei nicht wütend, feiere mit uns und freue dich. Denn für mich war dein kleiner Bruder wie tot und jetzt ist er wieder lebendig. Er war verloren gegangen und ist nun wiedergefunden.“

Das war das Ende der Geschichte, die Jesus erzählt hat. Also ich war ganz auf der Seite des älteren Sohns. Ich konnte ihn und seinen Zorn und seine Wut gut verstehen. Bauer zu sein, ist eine anstrengende Arbeit. Jeden Tag gibt es was zu tun und immer hat man das Gefühl, man könnte noch mehr machen. Z.B. noch mehr Steine vom Feld räumen. Immer wenn man denkt, jetzt ist es gut, schaut man auf das Feld und schon sieht man noch mehr Steine. Nie wird man da wirklich fertig.

Doch wie ist das mit tot und lebendig, verloren und wiedergefunden? Das verstand ich nicht. Doch Jesus stand auf und zog weiter. Die Menschenansammlung löste sich auf und ich saß mit meinem Fragezeichen im Kopf da. Also ging ich zurück in meine Herberge. Die Wirtin hatte einen gut riechenden Eintopf gekocht und ich merkte, dass ich ordentlich Hunger hatte. Ich ging in die Küche und holte mir eine schöne Portion. Damit setzte ich mich in die Abendsonne vor der Herberge. Ein weiterer Gast gesellte sich zu mir. Wir kamen ins Gespräch. Er fragte: „Habe ich dich nicht vorhin auch bei Jesus gesehen? Du bist später gekommen.“ „Ja“, erwiderte ich. „Leider habe ich die Geschichte nicht ganz gehört. Ich kam erst, als der ältere Sohn vom Feld heimkam, dazu.“ „Na, da hast du ja eine ganze Menge nicht mitbekommen. Soll ich es dir erzählen?“, fragte der Mann. „Unbedingt!“, sagte ich.

Und so fing er zu erzählen an: „Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere Sohn sagte zum Vater: ‚Vater, gibt mir meinen Anteil am Erbe!‘ Da teilte der Vater seinen Besitz unter den beiden Söhnen auf.

Ein paar Tage später machte der jüngere Sohn seinen Anteil zu Geld, er verkaufte Felder. Dann zog er in ein fernes Land. Da führte er ein verschwenderisches Leben und gab sein Geld mit vollen Händen aus. Bald hatte er kein Geld mehr. Da brach eine große Hungersnot im Land aus. Und auch der jüngere Sohn begann zu hungern. Er bat einen Mann in dem fremden Land um Hilfe. Der schickte ihn aufs Feld zum Schweinehüten. Der jüngere Sohn hatte so großen Hunger, dass er sehr gerne das Futter, das für die Schweine gedacht war, selbst gegessen hätte. Aber das war ihm verboten. Da dachte der jüngere Sohn nach: ‚Wie viele Menschen arbeiten bei meinem Vater auf dem Bauernhof und haben genug zu essen. Ich komme hier vor Hunger um. Ich will zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: ‚Vater, ich bin vor Gott und vor dir schuldig geworden. Ich bin es nicht wert, dein Sohn genannt zu werden. Nimm mich als Arbeiter bei dir in den Dienst.‘

So machte sich der Sohn auf den Weg zu seinem Vater.

Der Vater sah ihn schon von Weitem kommen und hatte Mitleid mit ihm. Er lief seinem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Doch der Sohn sagte zu ihm: ‚Vater, ich bin vor Gott und vor dir schuldig geworden. Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden.‘ Doch der Vater befahl seinen Dienern: ‚Holt schnell das schönste Gewand und zieht es ihm an. Steckt ihm seinen Ring an den Finger und bringt ihm Sandalen für die Füße. Dann holt das gemästete Kalb und schlachte es. Wir wollen essen und feiern! Denn mein Sohn hier war tot und ist wieder lebendig. Er war verloren und ist wiedergefunden.‘ Und sie begannen zu feiern. Den Rest der Geschichte kennst du ja schon.“

Ich hatte aufmerksam zugehört und als ich das mit dem Erbe, den verkauften Feldern und dem verschleuderten Geld gehört hatte. Da war ich noch mehr auf der Seite des älteren Sohnes. Wie konnte der Vater nur so ungerecht sein?

Und da platzte es auch schon aus mir heraus: „Wie ungerecht von dem Vater! Ich verstehe den älteren Sohn so gut.“

Der Herbergsgast, der neben mir saß und mir alles erzählt hatte, nickte voller Verständnis mit dem Kopf. „Klar, das verstehe ich. Doch denkt doch mal nach, das ist eine Geschichte, die Jesus erzählt. Der erzählt das doch nicht einfach so. Der hat sich doch da was überlegt. Es muss ihm doch um was ganz Bestimmtes gehen. Lass uns doch mal nachdenken.“

Also saßen wir eine Weile schweigend in der Abendsonne. Den Bauch schon voll von dem Eintopf und das Gehirn mit Denken beschäftigt.

„Wie tot und wieder lebendig“, murmelte er und ich sagte: „Verloren und wiedergefunden“, sagte ich. Ich dachte noch eine Kleinigkeit weiter und dann wagte ich es: „Das muss es sein. Der Vater erlebt, dass der Sohn verloren geht, dass er ihm wie tot erscheint, so weit weg ist er. Und dann taucht er plötzlich wieder auf, wie aus dem Nichts. Der jüngere Sohn ist wieder da. Und die Freude beim Vater ist unendlich groß. Schier nicht zu fassen. Sein Sohn, lebendig. Sein Sohn, wiedergefunden. Da kann er gar nicht anders als ein Fest feiern.“

„Ja“, nickt der andere wieder, „und was mir noch einfällt: Ich war ja schon länger mit bei Jesus gesessen und er hatte davor vom Verlieren und Wiederfinden erzählt und da sagte er: ‚Gott freut sich über jeden, der sein Leben verändert und wieder zu ihm zurückkommt. Er freut sich darüber mehr als über neunundneunzig Gerechte, also Menschen, die nach den Geboten von Gott leben.‘“

Damit war unser Gespräch zu Ende. Wir zogen uns auf unsere Schlafmatten zurück, morgen war ja wieder ein Tag, an dem ich Töpferwaren verkaufen wollte.

Und als ich so beim Einschlafen war, da hatte ich noch einen Gedanken: „Der Vater in der Geschichte ist wie Gott, er freut sich so über seinen zurückgekommenen Sohn, wie Gott sich über einen freut, der sein Leben zum Guten verändert.“

Und nächst Woche erzähle ich euch von einer Königin aus der Bibel.

Lk 15, 11-37

4.2.2023

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Ester, ein Waisenmädchen, wird Königin von Persien.

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Wer hat Mitleid mit dem Überfallenen: Priester, Levit oder Samariter? Und was hat das alles mit einem wichtigen Gebot zu tun? Aram muss wieder nachdenken.