Mit einer List, und Rebekkas Hilfe, erschleicht sich Jakob Esaus Segen.

Ich bin der alte Jakob. Du kennst mich ja schon. Letzte Woche habe ich dir erzählt, wie ich das Erstgeburtsrecht von Esau bekommen habe. Er hatte so Hunger, als er von der Feldarbeit heimkam, und ich einen fertigen Linseneintopf. Den wollte er unbedingt essen. Dafür hat er mir dann das Erstgeburtsrecht gegeben.

Dazu hat er seitdem nichts mehr gesagt. Es vergingen Wochen und Monate, vielleicht sogar Jahre. So genau erinnere ich mich nicht mehr. Unser Vater Isaak wurde immer älter und schwächer. Er wurde blind. Immer wenn wir Jungs mit ihm Kontakt hatten, fragte er als erstes: "Wer bist du mein Sohn?" Und wir sagten dann unseren Namen.

Isaak verließ sein Lager in seinem Zelt nicht mehr, das waren schlechte Zeichen. Er würde wohl bald sterben. Bevor er starb, musste er noch den Segen an seinen Erstgeborenen weitergeben. Der Erstgeborene war Esau und nicht ich. Wir waren ja Zwillinge und Esau war einfach eine Winzigkeit eher geboren als ich. Während der letzten Zeit habe ich oft darüber nachgedacht, wie es mit mir weitergeht, wenn Esau den väterlichen Segen hat. Das waren keine erfreulichen Gedanken. Esau wäre dann hier im Lager der Chef und ich hatte zu machen, was er sagt. Und so richtig gut sind wir ja nie miteinander ausgekommen.

Und auf einmal brach Unruhe in unserem Lager aus. Rebekka, meine Mutter, suchte mich. Und als sie mich fand, zog sie mich in eine stille Ecke und fing an zu flüstern: "Jakob, jetzt müssen wir schnell sein. Dein Vater hat Esau beauftragt, ein Wildtier zu erlegen und einen guten Braten zuzubereiten, und dann will er ihm den Segen zusprechen." Das mit dem Braten war üblich, das hatte ich schon in alten Erzählungen so gehört. Doch Rebekka sprach weiter: "Schnell hol mir von der Weide zwei Ziegenböckchen, ich will einen guten Braten für Isaak daraus machen." Ich schaute sie verdutzt an und fragte: "Und wie soll es dann weitergehen. Klar, Isaak sieht nicht mehr gut, doch er hört meine Stimme und wenn er an meine Arme fasst, dann weiß er, dass ich nicht Esau bin? Ich habe ja keine so haarigen Arme wie der Esau." Doch meine Mutter Rebekka winkte ab und trieb mich an: "Jakob, beeile dich. Ich habe einen Plan, der ist gut. Es wird alles gut gehen."

Also ging ich zu den Tieren und tat, was meine Mutter gesagt hatte. Es wurde ein Braten zubereitet. Und ich wurde in die Festgewänder von Esau gesteckt, die - zufällig, oder warum auch immer - bei meiner Mutter waren. Und dann kam die Überraschung. Meine Mutter band mir Fellteile von den Ziegenböcken um die Arme und um den Nacken. Wenn man mich nun anfasste, fühlte es sich fast so an, wie bei Esau.

Dann schicke mich meine Mutter Rebekka zu Isaak ins Zelt.

Es war ein komisches Gefühl. Ich als Esau verkleidet, mit dem Braten von meiner Mutter im Topf. Im Zelt war es ziemlich dunkel. Vorsichtig ging ich hinein und sagte: "Mein Vater!"

Er antwortete: "Wer bist du, mein Sohn?"

Und ich log: "Dein erstgeborener Sohn, Esau. Ich bringe dir den gewünschten Braten, damit du mich segnen kannst."

Isaak war erstaunt: "Du bist aber schnell. So schnell hast du ein wildes Tier gefunden."

Ich nuschelte was von: "Vielleicht hat mir ja Gott geholfen?"

Dann wurde es spannend, denn Isaak sagte: "Komm näher, ich will dich betasten, ob du auch wirklich Esau bist. Deine Stimme klingt wie die von Jakob." Er betastete mich und sagte dann: "Seltsam, dein Gewand riecht nach Esau, deine Arme sind behaart wie die von Esau, doch deine Stimme passt nicht."

Er fragte nochmals: "Bist du wirklich mein Sohn Esau?"

Und ich log wieder: "Ja!"

Dann sagte Isaak: "Dann gibt mir von dem Braten zu essen, dann will ich dich segnen."

Nach dem Essen nahm Isaak noch einen Schluck Wein aus dem Becher.

Ich musste noch näher an ihn herantreten und ihn küssen. Und dann segnete er mich:

"Gott soll dir Tau vom Himmel schenken und deinen Feldern fruchtbare Erde. Du sollst immer ausreichend Korn haben. Die Fremden sollen dich achten und ehren. Und wer dich verflucht, der soll selbst verflucht sein."

Es war ein ernster, feierlicher Moment. Ich verabschiedete mich und ging zurück zur Mutter. Die Kleider und Felle zog ich aus. Ich war wieder Jakob.

Da sah ich meinen Bruder Esau von der Jagd kommen. Er begann, seinen Braten zuzubereiten. Ich beobachtete ihn. Er ging dann in das Zelt von Isaak. Ich lauschte.

Er sprach den Vater an: "Hier Vater, ich bringe dir den gewünschten Braten, damit du mich segnen kannst." Isaak fragte: "Wer bist du?"

Esau antwortete: "Esau, dein Erstgeborener?" Isaaks Stimme zitterte, als er wieder sprach: "Ja, wer war dann der, der mir vorhin den Braten gebracht hat und den ich gesegnet habe? Er wird für immer gesegnet bleiben. Den Segen kann ich nicht zurücknehmen."

Esau klagte und jammerte: "Segne mich doch auch Vater, ich bin doch der Erstgeborene!"

Doch Isaak sagte: "Das geht nicht; mit einer List hat sich Jakob den Segen erschlichen."

Esau wurde zornig: "So ist er. Deshalb heißt er ja Jakob - das bedeutet 'der Listige'. Das Erstgeburtsrecht hat er mir ja auch schon für einen Linseneintopf weggenommen. Und nun hat er mich um meinen Segen gebracht. Hast du wirklich keinen Segen mehr für mich übrig? Segne doch auch mich, Vater." Esau fing an zu weinen.

Isaak klang auch ganz kläglich: "Nein, Esau, ich habe nichts mehr für dich. Du wirst in deinem Leben kämpfen müssen. Den Segen hat Jakob."

Ich habe mich aus dem Staub gemacht und bin zu meiner Mutter gegangen. Vor Esau habe ich mich gefürchtet. Nicht zu Unrecht. Esau war ungenießbar. Wenn ich ihm über den Weg lief, dann bedrohte er mich. Er sprach davon, dass er mich, wenn Isaak dann tot ist, umbringen wird.

Es war schwierig geworden bei mir zu Hause. Irgendwie konnte ich den Esau ja auch verstehen. Aber rückgängig machen konnte ich es auch nicht. Und ein wenig feige dachte ich: Rebekka hat es ja so gewollt.

Es geht spannend weiter, das erzähle ich dir nächste Woche.

1. Mos 29,1 - 30,24

15.6.2024

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Jakob flieht von zu Hause und hat einen wunderbaren Traum.

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Jakob erzählt aus seiner Kindheit. Ein Linseneintopf spielt dabei eine große Rolle.